La Desértica V: Die Kohorte auf Abwegen...

La Desértica V: Die Kohorte auf Abwegen…

 03.11.2023 -  Marcel von der Kohorte Mittellinie

Almería. Hier befindet sich eine der wenigen - und bei weitem die trockenste - (Halb-)Wüste(n) Europas. Drehort u.a. mehrerer Spencer/Hill-Filme (inklusive dem ersten), Winnetous Rückkehr, Der Schuh des Manitu, Für eine Handvoll Dollar, Lawrence von Arabien, Spiel mir das Lied vom Tod, Indiana Jones und der letzte Kreuzzug sowie Game of Thrones.

Was das mit der Kohorte zu tun hat? Nun, einerseits sind die Farben Almerías Rot und Weiß. Desweiteren war unser Logo bisher wohl noch nie weiter entfernt vom Südosten Berlins als im Südosten Spaniens. Warum nach Madrid nun also schon wieder Spanien? Seit 2017 organisiert die Spanische Legion   - die ehemalige Fremdenlegion Spaniens - in Almería eine sportliche Prüfung der besonderen Art: La Desértica   - 70 km Strecke mit jeweils mehr als 1,6 km Auf- und Abstieg, mit einem Zeitlimit von 16 Stunden. Im Vorjahr erreichten von ca. 4000 Startenden weniger als 2750 überhaupt das Ziel.

Youtube - Trailer: V EDICIÓN 'LA DESÉRTICA' 2023 (spanisch)

Und dieses Jahr ging ich für die Kohorte Mittellinie an den Start...

Während daheim die Spiel-(Sams)tags-Routine begann, stand ich am 21.10.2023 kurz vor 09:00 Uhr morgens mit gut 4000 weiteren ‘Marchadores’ im Stadtzentrum Almerías und wartete auf den Startschuss zur fünften Ausgabe der ‘Desértica’ - meinem ersten Lauf jenseits der Marathon-Marke. Trotz des erfolgreichen Probelaufs einen Monat zuvor in der Heimat , war die Anspannung entsprechend groß. Glücklicherweise hatte ich an meiner Seite zwei (Zwillings-)Brüder, die nicht nur beide im Nationalen Polizeikorps dienten und entsprechend fit sind, sondern die Vorjahresausgabe bereits gemeistert hatten.

Direkt nach dem Start wurde ich aus der Menge heraus bejubelt - mehrfach wurde mir ein ‘Union!’ entgegengerufen…oder war es doch eher ein ‘¡Unión!’ - wie in ‘ Unión Deportiva Almería   ’ - dem lokalen Erstligisten, der, wie sollte es auch anders sein, in Rot und Weiß aufläuft? Unwichtige Details - Mir gaben die Union-Rufe jedenfalls direkt Rückenwind und so verging der erste Halbmarathon durch die Stadt, die Basis der ‘Legión’ und das (ausgetrocknete) Flussbett des Río Andarax trotz 300 m Anstieg wie im Fluge. Doch dann begann der zweite, längste, von drei Aufstiegen, der sich bis km 48 auf 1 km Höhe ziehen sollte. Bei einem der vielen kurzen aber steilen Abstiege, kurz vor km 32 spürte ich ein leichtes Stechen im rechten Knie, verlagerte automatisch mehr Gewicht auf das linke Bein und prompt machte der entsprechende Oberschenkel hinten dicht. Zum Glück war der nächste Versorgungspunkt nur 2 min humpeln entfernt und nach etwas Dehnung, viel Wasser, gebrannten, gesalzenen Mandeln und den besten Rosinen meines Lebens konnte ich krampffrei weiterlaufen. Allerdings viel ich den gesamten Anstieg über aufgrund muskulärer Probleme immer wieder hinter meine Begleiter zurück. Diese warteten jedoch immer wieder auf mich, fragten, ob es mir gut ginge ("¿Estás bién?") und zogen auf mein “Sí.” direkt wieder das Tempo an ("¡Vamos!").

Nachdem mir an der Marathon-Marke die Gedanken kam, dass ich in Berlin mit dieser Zeit bereits disqualifiziert worden wäre und selbst wenn ich noch einen Halbmarathon mehr schaffen sollte, erst 90 % des Rennens vorbei wären, zwang ich meine Begleiter am Versorgungspunkt Nahe km 45 zu einer ‘echten’ Pause. Bis dahin hatten wir immer nur Verpflegung gegriffen, eingeworfen und waren weitergelaufen. Doch nun ging ich zum Erste-Hilfe-Zelt, gestikulierte der Soldatin auf meine Waden und Oberschenkel, sowie ihre Eisspray-Flasche und setzte mich nach der folgenden Abkühlung wortlos hin. Die Brüder brachten mir Wasser und ein belegtes Brot und ich verzehrte dieses zügig, aber sitzend. Auf das obligatorische “¿Vamos?” entgegnete ich dieses mal “¡No!” und deutete auf einen Stand mit einem großen Topf. Dort holte ich mir einen Becher Hühnerbrühe ab, der auf mich die gleiche Wirkung hatte, wie der Zaubertrank aus Asterix und Obelix. Da keine Römer zu sehen waren, nutzte ich die neugewonnenen Energie, um weiterzuziehen. Eventuell halfen auch die Wanderstöcke, die ich während der Pause aus meinem Rucksack und in die Hände genommen hatte, aber irgendwie gefällt mir die Version mit der Brühe besser.

Auf dem anschließenden Abstieg meldeten sich die Krämpfe immer wieder vorsichtig zu Wort, ich behielt aber die Oberhand. Irgendwann wurde mir bewusst, dass unser Heimspiel gegen Stuttgart bereits vorbei war und ich beschloss, erst am Ziel das Handy auszupacken. Mittlerweile ging es wieder bergauf - das letzte Mal.

Als der Gipfel sichtbar wurde, realisierte ich, dass wir noch mindestens 1,5 Stunden Tageslicht hatten, und somit den als besonders gefährlich geltenden letzten Abstieg ohne Kopflampe schaffen konnten. Das gab mir den entscheidenden Schub und ich erreichte seit langem einmal wieder den berühmten Zustand des “Läuferhochs” - eine Art Euphorie bei der der Körper einfach aufhört zu klagen und es mit jedem Schritt leichter zu werden scheint. So kamen wir schnell den steilen Abhang hinunter und auf dem folgenden ebenen Abschnitt konnte ich zum ersten Mal seit 35 km wieder das Tempo unserer Dreiergruppe anziehen, anstatt immer nur zu bremsen oder mitzuhalten.

Beim Schild “km 66” dachte ich zum ersten Mal, “Ja, das schaffe ich. Ganz sicher!” - der Gedanke von weniger als vier km Reststrecke motivierte mich und ich wiederholte das immer wieder zu meinen Laufpartnern - die mittlerweile im Schein meiner Kopflampe liefen. Ca. 15 min später rief uns einer der Legionäre aufmunternde Worte auf Spanisch zu. Automatisch zog ich etwas an, noch bevor mein müder Kopf die eigentliche Botschaft langsam aber sicher entschlüsselte - Hatte der gerade etwas von “…nur noch vier, fünf Kilometer…” gesagt? Das konnte nicht stimmen. Und doch passierten wir ein Schild auf dem sowohl “km 68”, als auch “4,5 km bis zum Ziel” stand. Damit war jegliche Euphorie verflogen und ich wollte einfach nur noch ankommen. Also nicht nur in der Champions League - selbst hier gab es offenbar eine Verlängerung, die den fast schon sicher geglaubten Punkt noch einmal infrage stellt.

Es folgte eine Art Strandpromenadenspaziergang im Dunkeln, bis wir die Musik im Zielbereich so klar vernommen, dass wir ganz sicher waren, dass keine weitere Falle auf uns wartete. Und so gaben wir auf der Zielgeraden noch einmal alles und liefen zeitgleich nach unter 11:45 auf den Plätzen 1527 - 1529 ein. Insgesamt sollten knapp drei viertel der Startenden das Ziel erreichen, was uns unter denen, die es überhaupt geschafft haben, in jeder Hinsicht ziemlich genau im Mittelfeld platziert. Wenn man bedenkt, dass deutlich mehr als die Hälfte der Teilnehmenden in den militärischen Wertungsklassen gestartet waren, so ist das doch mehr als zufriedenstellend für einen Jungen aus Ostberlin, der auszog, durch die Wüste zu laufen.


Und niemals vergessen - Eisern Union!

Bildergallerie (© 2023 Kohorte Mittellinie)